Am Leben - Notarzt im Rettungshubschrauber

Was sollen wir tun, mit dem gerade zwanzigjährigen Soldaten, dem nachts eine zu früh detonierte Sprengladung auf dem Truppenübungsplatz Arm, Bein und Gesicht zerfetzt hat und der bei vollem Bewusstsein die Dinge, die um ihn herum geschehen, miterlebt und nichts sehnlicher erwartet, als dass irgendetwas mit ihm geschieht? Was tun mit dem Mittvierziger, dem vor dreißig Minuten das Herz aussetzte und somit das Gehirn ohne Blutzufuhr blieb? Werden sie uns dankbar sein, wenn es gut geht? Und werden sie uns zum Teufel wünschen, wenn wir ihr Leiden nur verlängerten? Rettung, intensive Medizin um jeden Preis, nur weil wir neue Verfahren, bessere Apparate haben? Was hat das Kind gedacht, was gefühlt, als es in unseren Armen starb? Und wie geht es uns dabei? Wie lange halten wir das aus? Wir wissen auf diese Fragen keine erschöpfenden Antworten und müssen sie uns doch immer und immer wieder stellen und stellen lassen.

Über 20 Jahre liegt er nun zurück, mein erster Einsatz als Notarzt an Bord eines Rettungshubschraubers. Trotzdem ich zu jener Zeit schon seit vier Jahren Erfahrung auf dem Notarztwagen gesammelt hatte und die Ausbildung zum Chirurgen mit all ihren Härten eine gewisse mentale Resistenz gegenüber Schwerverletzten verlieh, waren meine Knie weich, als ich erstmals an Bord eines Helikopters abhob. Noch nie vorher war ich mit einem Hubschrauber geflogen. Mich erfüllte eine fieberhafte Erwartung, als ich vor dem mit High-Tec ausgestatteten Riesenvogel stand.
Wir neigen nicht zu Ängstlichkeiten, wir neigen vielmehr dazu, die Dinge so zu sehen, wie sie sind. Das Leben mit diesem uns so fordernden Job gleicht dem Zusammensein mit einer Diva – gelegentlich triumphal, geht es die meiste Zeit reichlich lustlos mit uns um. Mithin schultern wir Schlafmangel, Familienkrisen und Stress und beschreiten damit „belastet“ unseren Weg. Das Schicksal anderer bestimmt den Tagesablauf, legt unser Arbeitspensum fest. - Dr. Tino Lorenz

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